JULIEN BERTHIER
"NEGLECTABLE COLLECTINGS"
ODER Der Diebstahl im öffentlichen Interesse, von Dingen, die niemand vermissen wird

23.04.-05.06.2009, Eröffnung: Mittwoch, 22.04., 18 Uhr

Für seine dritte Einzelausstellung in unserer Galerie hat Julien Berthier (*1975, Frankreich) ein Projekt erarbeitet, das sich im engeren Sinne auf den Standort seines Gastatelieres Köln bezieht. Auch in NEGLECTABLE COLLECTINGS geht es wieder um das Leben und das Bewegen im öffentlich Raum. Im weiteren Sinne ist es eine neuerliche Beweisführung zum Beleg seiner
Maxime - "Nur nicht die Welt den Speziailisten überlassen". Wir freuen uns sehr, die Ausstellung mit Julien Berthiers neuen Arbeiten zeitgleich zur Art Cologne zu eröffnen.

Im Ausstellungsraum dominiert die Arbeit "Matière première (Rohstoff)". Der Künstler hat aus dem öffentlichen Raum an verschiedenen Orten in Köln 'entbehrliche' Rohrteile aus Absperrungen entwendet und aus den gesammelten Stücken ein Stahlrohr zusammengeschweisst, in der Länge, wie sie vom Grosshandel standardmässig angeboten wird (6 m Länge bei 48 mm Durchmesser). Somit hat Berthier das gesammelte Material als Rohstoff wieder verfügbar gemacht. Die Spenderkonstruktion erleidet dabei keinerlei Einbußen hinsichtlich ihrer Funktion. Der Arbeit zugehörig ist ein Video zu sehen, das die verschiedenen Akte des 'Materialsammelns' zeigt und in einigen Standbildern auch die Situation danach vor Ort dokumentiert.

Die Arbeit "Seven times the Berlin sun" ist auf den ersten Blick eines jener Objekte für Spezialisten im professionellen Bereich, eine der famosen "Machines Berthier". Mobil und funktional produziert dieses Gerät, das in einem archaisch anmutenden Design erscheint, UV-Strahlen, die siebenfach die durchschnittliche Strahlenmenge Berlins (als Referenzgrösse) erzeugen. Es hat das Potential, Alterungsprozesse zu beschleunigen, indem es sich, mit Hilfe einer 'künstlichen Sonne', die unaufhörlich intensiv strahlt, das Naturphänomen zu eigen macht. In ihrem ersten Einsatz in der Galerie bestrahlt die Maschine alltägliche Plakate und lässt diese in Beschleunigung altern. Auf diese Weise wird zugleich unmittelbare Nostalgie erzeugt sowie der Alterungsprozess von Bildern und visuellen Codes offenbart.

Die "Pavés préhensiles (Greif-Steine)" sind den Strassen der Stadt Köln entnommene Pflastersteine, in die der Abdruck einer zugreifenden Hand eingefräst ist. Diese sehr einfache bildhauerische Geste optimiert gleichzeitig den Gebrauch des Pflastersteins als archaisches und unmittelbar verfügbares Wurfgeschoss. Das Objekt spielt in einem Doppelsinn mit dem Gedanken der Revolution: Die Revolution des neolithischen Zeitalters (mit dem Aufkommen der mechanischen Behandlung von Stein) und der Revolution von Bürgern gegenüber der Staatsmacht (wie es beispielhaft die Zeit um 1968 in Paris versinnbildlicht). Dieser polierte, auf Handformat ausgehöhlte, behandelte Stein wird mit seinem Wohlfühl-Handschmeichel-Effekt eine Anti-Stress-Emotion hervorrufen, die Agressivität der Ausgangssituation aufheben und auf optimale Weise umlenken.

Im Untergeschoss der Galerie präsentiert Julien Berthier eine Reihe neuester Zeichnungen: hier versammeln sich wieder seine schier unglaublichen Visionen und aberwitzigen Projektentwürfe. Sie befragen auf einer weiteren Ebene fragile und komplexe Strukturen unserer westlichen Lebensform.